DGzRS: Erster erfolgreicher Einsatz der Seenotretter vor 150 Jahren
Um 11 ½ Uhr mittags kamen wir auf der Reede an und trugen die Schiffbrüchigen an Land. Beim Betreten des festen Bodens fielen alle auf die Knie, und der Kapitän sprach ein Dankgebet, das von dem Weinen und Schluchzen der anderen oft unterbrochen wurde.
So berichteten die Spiekerooger Seenotretter über ihre erste organisierte Rettungsaktion am 7. September 1864 – vor 150 Jahren. Ihre Zeilen sind ein beeindruckendes Dokument selbstlosen Einsatzes auf See. Neun Monate später, am 29. Mai 1865, wurde die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) als einheitliche, unabhängige Organisation für alle deutschen Küsten gegründet.
Noch im November 1860 hatten die Insulaner auf Borkum untätig vom Strand aus zugesehen, als die Brigg „Alliance“ von der Brandung zerschlagen wurde. Die verzweifelt um Hilfe rufenden Seeleute waren ums Leben gekommen. Innerhalb der nächsten kaum vier Jahre vollzog sich ein beinahe unbegreiflicher Wandel. Erste Aufrufe zur Einrichtung von Rettungsstationen erschienen in den Tageszeitungen. Gemeinschaftsgeist und Hilfsbereitschaft setzten sich gegen jahrhundertealtes Strandrecht durch und überwanden die verzagende Ohnmacht des Einzelnen.
Am 7. September 1864 legten bei der Strandung der „Gagnerie“ vor Spiekeroog alle Hand an, um das vom ersten regionalen Verein zur Rettung Schiffbrüchiger angeschaffte Rettungsboot zu Wasser zu bringen:
Da die Pferde noch auf der Weide waren und einige Minuten auf sich warten ließen, wurden die Insulaner aufgefordert, den Transportwagen mit dem neuen Rettungsboot zum Strand zu ziehen. Diese schwierige, und wie es zuerst schien, fast unmögliche Arbeit wurde mit großer Bereitschaft unternommen.
Eine tapfere Rettungsmannschaft wagte das eigene Leben, um fünf fremde Seeleute zu retten: „Kurz vor 9 Uhr war das Boot flott, und rasch sprangen außer dem Vormann und dem Bootsmann sechs unserer kräftigsten Männer hinein. Es wehte ein sehr heftiger Wind aus Nordwest, und die See ging hoch, sodass äußerste Vorsicht angewendet werden musste, damit das Boot nicht kenterte. Wir ruderten mit großer Anstrengung dem Schiffe zu.“
Kaum nachzuempfinden sind angesichts der nüchternen Zeilen die Strapazen, die die Seenotretter angesichts Wind, Strömung und Gezeiten durchmachen mussten: „Wir sahen einen dunklen Gegenstand und ruderten mit aller Gewalt dem vermeintlichen Boot entgegen. Bald bemerkten wir, dass es nur ein Floß war. Wir konnten auf demselben fünf Männer, teils liegend, teils sitzend, unterscheiden. Sie winkten um Hilfe. Jetzt verdoppelte sich der Eifer unserer Mannschaft. Jede Minute drohte Gefahr und Tod. Glücklicherweise erreichten wir sie bald, und sofort warfen wir ihnen die Wurfleine zu, die sie ergriffen. Dann zogen wir das Floß an die Seite des Bootes. Nach getroffener Verabredung fassten wir auf ein gegebenes Zeichen jeder mit raschem, kräftigem Griff einen der fünf Schiffbrüchigen und warfen sie in unser Boot.“
Große Dankbarkeit und Erleichterung schlug den Seenotrettern entgegen: „Das erste, was die Geretteten, die wir als Franzosen erkannten, nun taten, war, dass sie uns die Hände küssten. Dann baten sie uns um ‚du pain‘, und gern wurde ihnen das wenige trockene Brot gegeben, dass wir noch in unseren Taschen hatten und das die Erschöpften, die, wie sich später herausstellte, seit Mitternacht nichts mehr gegessen hatten, merklich erquickte und stärkte.“
Seit den Gründertagen der DGzRS hat sich die Rettungstechnik vielfach weiterentwickelt. Aus den einfachen Ruderrettungsbooten von einst sind moderne Seenotkreuzer und Seenotrettungsboote geworden. Eines jedoch hat sich nicht geändert: Geblieben ist die freiwillige Bereitschaft der Seenotretter zu ihren selbstlosen und gefahrvollen Einsätzen – rund um die Uhr, bei jedem Wetter. Ebenso bemerkenswert: Die gesamte Arbeit der Seenotretter wird nach wie vor ausschließlich durch freiwillige Zuwendungen finanziert.